Ort: ein Warteraum in einer Casting-Agentur.
Gesucht wird (nicht ein Superstar, sondern) die Besetzung für
"Charleys Tante"; einige Leute, die sich für
verschiedene Rollen beworben haben, fiebern ihrem Vorsprechen
entgegen. "Pussy Galoor" tritt auf, ein Mann um die
60 in Frauenkleidern
Das Thema:
Indentität. "Wir spielen alle, aber
nach welchem Drehbuch? Wer ist wer?"
"Charleys Tunte beim Black Jack" ist
die Begegnung eines reiferen Herrn in Frauenkleidern mit einer
jungen Frau, welche die Hosen anhat. Woher die beiden ihre Texte
haben, wissen sie selbst nicht, sie sind ja nur Figuren in einem
Stück. Wenn sie nicht wissen, wie es weiter geht, legen
sie Karten oder rufen den Autor an.
Noch ganz nebenbei was zu "Charleys Tante":
„Charleys Tunte beim Black Jack“
hat mit „Charleys Tante“ fast nix zu tun.
Deshalb müsste man hier auf den Inhalt von „Charleys
Tante“ gar nicht eingehen.
Weil aber viele noch nie was von diesem Komödien-Klassiker
gehört haben, hier doch ein paar Sätze: Jack und Charley
sind verliebt und schüchtern zugleich. Der angekündigte
Besuch von Charlys reicher Tante aus Brasilien bietet Gelegenheit,
Kitty und Anny, die beiden Angebeteten, einzuladen. Doch da
sagt die Tante plötzlich ab. Was tun? Gott sei Dank haben
Jack und Charly einen treuen Freund, Babbs. Er muss die echte
Tante vertreten. Im eleganten Kleid empfängt er die jungen
Damen. Damit nimmt das Chaos seinen Lauf. Unangemeldet platzen
Jacks Vater und Mr. Spettigue, der Vormund von Kitty und Anny,
in die Wohnung und machen der falschen Tante, alias Babbs, Heiratsanträge.
Als dann noch die echte Tante mit ihrem Adoptivkind kommt, geht
die Verwechslung in die letzte entscheidende Runde... Seit seiner
Uraufführung 1892 in England zählt dieser Schwank
zu den größten Theatererfolgen aller Zeiten.
Für viele Schauspieler ist es ein Traum,
die "Tante"/ den Babbs zu spielen. Heinz Rühmann
und Peter Alexander schlüpften in die Rollen, Sönke
Wortmann ("Der bewegte Mann") hat in den 90ern des
letzten Jahrhunderts ein Remake von "Charleys Tante"
realisiert.
"Warum ist in Deutschland einer der beliebtesten
filmischen Stoffe die Verkleidung eines Mannes als 'echt' wirkende
Frau, der sich dann in sein 'Original' verliebt (als dessen
Abbild er auftritt, d.h. er sich gewissermaßen in ein
Spiegelbild seiner selbst verliebt)? Warum ist dieser Stoff
so verbreitet, dass er in der bundesrepublikanischen Bevölkerung
nicht nur als bekannt, sondern als Teil der meisten Medienbiografien
nachgewiesen werden kann? Welche gesellschaftlichen Veränderungen
führten dazu, dass dieser Geschlechtertausch im konservativen
Nachkriegsdeutschland 1955 noch mit einem zwischen matronenhafter
Grazie und derben anzüglichen Zweideutigkeiten changierenden
Heinz Rühmann erfolgreich war und nur acht Jahre später
mit einem die Frauenrolle klamaukhaft, zickig und chauvinistisch
umsetzenden, als Mann jedoch äußerst attraktiv akzentuierten
Peter Alexander begeistert aufgenommen wird?" So fragt
Christine Mielke (Universität
Karlsruhe)
Publikumsstimme:
"Vielen Dank für diese Darbietung.
Es war unser erstes Stück bei Euch, aber bestimmt nicht
das Letzte..." anonym, 27. September 07
Die leichte Briese des Tuntchens
AuGuS-Theater-Neu-Ulm Uraufführung
einer Remake-Farce im Sommertheater
VON HEIDE VON PREUßEN
Neu-Ulm Die Tunten-Tante
streicht sich übers rostrote Haar. An ihren Stiefelchen
aus dem 19. Jahrhundert wallen kleine Spitzen einer ellenweiten
Seidenhose. In der Uraufführung des Theaters Neu-Ulm „Char-leys
Tunte beim Black Jack", einer Farce von Heribert Benjamini,
kokettiert Tuntchen ganz schön mit dem Publikum.
„Huch, sitzt mein Umhang auch richtig?",
fragt sie (Heinz Koch) sich selbst und eilt mit kleinen Schrittchen
zum großen Theaterspiegel auf der Bühne. Das Gesicht
mit Stupsnase, die leicht geschminkten Augen, das anziehende
Lächeln - Tuntchen, du bist die Größte. Bis
man auf die Hände schaut und sieht, dass diese kräftig
zupacken können. Ebenfalls gut vorbereitet, allerdings
erst am falschen Ort, das süße Blondchen (Joana Dentler, Foto links)
mit dem roten Koffer. Wild ungezügelt, aber doch unmissverständlich
erklärt sie ihren „Mitstreitern" (Publikum)
dass sie vier Programmpunkte bieten könne und zudem auch
ihr Name unvergessen bleibt, nämlich Zahn-Um. So heißt
auch die Katze im roten Köfferchen, die von ihr zersägt
werden kann, als Pelz versteigert wird. Sie selbst zeigt im
langsamen Strip makellosen Body.
Die Farce „Charleys Tunte beim Black Jack"
ist ein außerordentlich gelungener Sommerspaß. Während
die Tochter als Player-Girl auf der Bühne - Männer-
wie Frauenherzen - höher schlagen lässt, führt
Mama, Claudia Riese, überzeugend Regie. Jeder der beiden
Protagonisten hat zwei längere Monologe, die mit Witz und
Komik vollgestopft sind, sich aber immer auf das Stück
beziehen. Gute Diktion, ausgezeichnete Mimik und rundes Körperspiel
sind Sahnehäubchen dieser Farce. Im zweiten Teil wird Tunte
wieder zu Sven-Ole Bremerstetten, ein Mann, der aus vier Beziehungen
acht Kinder hat und natürlich kein Geld.
Karten kommen ins Spiel. Letzter Satz im Sommerspaß:
„Black Jack". Das Stück ist eine leichte, aber
erfreuliche Unterhaltung. Ein paar Klischees gehen unter in
heiteren, fortsetzenden Gedanken. Engagiertes Spiel von Joana
Dentler und Heinz Koch binden die Farce ein. Sie wie Claudia
Riese können auf diese leichte Brise, die bewusst für
den Sommer angelegt ist, stolz sein - die Zuschauer haben ihren
Spaß.
URAUFFÜHRUNG / "Charleys Tunte
beim Black Jack" im Theater Neu-Ulm
Eine immerwährende Casting-Show
Tuntenalarm im Neu-Ulmer Augus-Theater: Heribert
Benjaminis Farce "Charleys Tunte beim Black Jack"
ist eine Reflexion über die eigene Existenz. Zwei eher
erfolglose Existenzen bewerben sich dabei in einer Casting-Show
immer wieder um neue Rollen.
CHRISTINA MAYER
Federboa, eng anliegende Klamotten und ein Auftreten,
als wolle sie die Welt erobern. In der Farce "Charleys
Tunte beim Black Jack" rauscht Joana Dentler, die Tochter
der Regisseurin Claudia Riese, aufgemotzt auf die Studiobühne
des Augus-Theaters. Die quirlige Dame kommt zum Vorsprechen.
Für eine Rolle gibt sie alles, auch sich. So tut sie wenigstens
und präsentiert selbstbewusst ihre Schauspielpalette von
"klassisch bis zeitgenössisch" und vom Strip
bis zum Zersägen einer Katze. Frei nach ihrem Spaß-Motto:
"Spaß beiseite, Ernst komm raus, ich zieh mich aus".
Was sie dann doch nicht tat.
Aber das Publikum im Theaterraum merkte bei
der Uraufführung von Heribert Benjaminis Farce gleich:
Hier wird zwar nicht die Katze zersägt, aber der Hund begraben.
Hinter der selbstbewussten Fassade dieser Lady namens Helen
Marthenstein steckt ein komplexes Komplexbündel, das nur
den schönen Schein wahrt. Fassade und Selbstbehauptung
um jeden Preis.
Und diese Lady bekommt auch noch Konkurrenz.
Sven-Ole Bremerstetten (Heinz Koch) ist Mitbewerber um eine
Rolle in "Charleys Tante" und hat sich schon mal entsprechend
ausstaffiert: Rothaarperücke, rote Lippen und Rouge. Da
mag man als Zuschauer schon mal rot sehen, wenn hinter dem Tuntentutti
erst mal abgeschmackte Witzchen kommen. Heinz Koch echauffiert
sich in seiner Rolle über religiösen Wahn und bringt
Wortspielereien wie "radikal fromm, also richtig bombig
fromm". Als Weihrauchfassschlenker bringt er den alten
Schwulenwitz "du, Schwester, dein Handtäschchen brennt".
Aber auch hinter der Tuntenfassade dieses Dauerbewerbers
steckt eine gescheiterte Existenz. In immer neuen Anläufe
versuchen sich der alte Herr und die junge Forsche, die sich
auch bereits auf der Schiene dieses Gescheiterten sieht, gegenseitig
auszutricksen.
Joana Dentler und Heinz Koch treten im Laufe
des Stückes als verschiedene Bewerbertypen in verschiedenen
Rollen auf. Immer sehen sie sich einem Text ausgeliefert, von
dem sie nicht wissen, woher er kommt. Im weitesten Sinn geht
es um Identitätskrisen, die mal fatalistisch, mal peinlich
rüber kommen.
"Können Sie mit dem, was ich spreche,
was anfangen?", ist die Frage der Schauspieler an das Publikum,
das daraufhin größtenteils mit den Achseln zuckte.
Kleine Mitmachaktionen sollten aus dem Publikum
Mitbewerber der Casting-Show machen. Sich selbst karikierend
ließ Heinz Koch "einen Drachen steigen", indem
er ein Publikumspärchen dazu brachte, dass er sie auf einen
Stuhl steigen ließ. Die Unwürde eines elenden Schauspieljobs
kam dabei durchaus zum Vorschein.
... Die Fremdheit zwischen
Gesprochenem und Gelebtem, die bittere Lebensbilanz und das
geahnte Scheitern -