Der Erkenntnishorizont
Der Erkenntnis-Horizont (Horizont = griechisch.: orizontas - "der Gesichtskreis") ist eine philosophische Idee, ein spielerisches Plädoyer.
In vielerlei Hinsicht wird nach (letzter) Wahrheit gesucht. Sie soll wissenschaftlich ergründet, bewiesen werden. Andere wollen sie glauben. Die Wahrheit kann man - wie andere absolute Begriffe - mit dem mathematischen Zeichen "unendlich" dargestellen.
Angenommen, es gibt die Wahrheit. Angenommen, man kann ihr näher kommen. Da sie "unendlich" ist, muss logischerweise der Weg zu ihr hin weit sein. Und angenommen, wir würden tatsächlich auf einem zu ihr hin führenden Weg sein, würde sie letztlich doch immer noch hinter einem Horizont liegen, egal, wie weit wir gehen.
Das ist eben das Wesen des Unendlichen, dass es hinter diesem Horizont liegt.
Es gibt nicht nur den absoluten Begriff der Wahrheit, es gibt auch absolute Gerechtigkeit, absolute Liebe und andere Abstrakta, die man absolut setzen kann. Alle zusammen genommen werden in vielen Weltanschauungen mit einem "unendlichen" Prinzip gleich gesetzt. In theistischen Weltanschauungen (Religionen) ist das Gott.
Die verschiedenen Strömungen konkurrieren miteinander um den Besitz der Wahrheit. Sogar sehr verwandte Religionen haben sich, sich auf die Wahrheit berufend, befehdet, bekämpft, terroristisch. bekriegt - und tun es noch heute.
Besonders aktiv: die Bruderreligionen Christentum und Islam. Besonders gelitten unter dieser bornierten, rechthaberischen Denkweise und Handlungsmaxime haben die Mitglieder der dritten Bruderreligion, des Judentum. Oberflälich betrachtet, reklamieren alle drei den wahren Glauben für sich allein. Der Erkenntnis-Horizont wird missachtet, man tut so, als habe man ihn überwunden, als könne das "Unendliche" (den "Unendlichen", also Gott) erkennen, erfassen, begreifen.
Sehr bedenkenswert scheint mir in diesem Zusammenhang, was Thomas Spahn an Überlegungen ausbreitet in seinem blogpost Was die Glaubensbekenntnisse der drei monotheistischen Religion über ihre Anhänger und deren wissenschaftlichen Ansatz aussagen. Er schreibt unter anderem:
"So kristallisiert sich allein aus diesen jeweiligen Einstiegen in das Bekenntnis dessen, was die Religionen als Formel zum Gottesbekenntnis bezeichnen, deutlich heraus: Eine Gemeinschaft von Gläubigen gibt es nicht bei den Juden und nicht bei den Muslimen – es gibt sie nur bei den Christen. Juden und Muslime hingegen bilden jeweils eine Gemeinschaft von Wissenden – und so können sie als Wissende nicht Gläubige sein.
Ist das nun wortverliebte Haarspalterei – oder hat dieses über die theoretische Feststellung hinaus Relevanz?
Ich werde diese Frage hier vielleicht nicht abschließend beantworten, jedoch scheint mir ein fundamentaler Unterschied eklatant: Jenseits jeglichen klerikalen Alleinvertretungsanspruchs bis hin zur Häretisierung christlicher Glaubensbrüder erlaubt ein bloßes Glauben immer auch die Frage nach dem Wie, dem Woher, dem Was und dem Warum. Wer etwas glaubt, der erklärt, das zu Glaubende letztlich nicht zu wissen. Und er hat zumindest das Recht, wenn nicht die Pflicht, nach diesem Wissen zu streben.
Dem Glaubenden ist die Frage erlaubt, ob das, an was er glaubt, so ist, wie er es zu glauben meint. Das wiederum unterscheidet ihn vom Wissenden. Denn der ist dieser Frage enthoben. Wer weiß, der muss nach dem, was ist, nicht mehr fragen. Ganz im Gegenteil wäre diese Frage ein Verrat an sich selbst – denn sie wäre das Eingeständnis einer selbstbetrügenden Lüge."
Nehmen wir den Ansatz des Euklid über die Parallelen: Parallelen sind Geraden in einer Ebene, die an jedem Punkt, in dem man die Senkrechte fällt, gleich weit von einander sind. Sie treffen sich im Unendlichen.
Nehmen wir an, Weltanschauungen, Religionen streben ernsthaft nach der Wahrheit, nach dem Unendlichen (der Urmonade). Und nehmen wir an, sie hätten gar nichts miteinander zu tun, hätten nichts gemein außer dem Streben nach der Wahrheit.
Man könnte innerhalb der einen "Geraden" womöglich herausbekommen, welche der Monaden näher an der Wahrheit ist.
Aber vergleichend mit einem Strebenden (einer Monade) auf einer anderen "Geraden" wäre es weit schwieriger zu urteilen, wer da näher an der Wahrheit ist. Beider (aller) Streben, das Unendliche zu erkennen oder gar etwas darüber auszusagen, liegt jenseits des Horizonts, über den niemand hinauskommen wird, der selbst endlich ist. Das zu akzeptieren hieße: tolerant sein zu müssen. Wer den Erkenntnis-Horizont nicht akzeptiert, ihn glaubend überwunden zu haben wähnt, ist gefährdet: sich rigoros und radikal zu verhalten, womöglich gewalttätig, terroristisch.
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