Die ersten zweieinhalb Seiten einer
längeren Nachbetrachtung von Dr. Ruth Nanda Anshen. Sie
hat die Publikationsreihe ,,Convergence“ initiiert, in
welcher auch das Buch ,,Naturwissenschaft und Wertentscheidung“
von Gehirnforscher und Medizinnobelpreis-Träger (1981)
Roger Sperry erschienen ist.
"Ich brauche es gar nicht erst zu versuchen",
sagte Alice, "wir können unmögliche Dinge nicht
glauben."
"Ich vermute eher, dass du einfach noch
keine Praxis hast", erwiderte die Königin. "Als
ich so alt war wie du, habe ich es jeden Tag eine halbe Stunde
lang praktiziert. Ja, manchmal habe ich sogar vor dem Frühstück
schon sechs unmögliche Dinge geglaubt."
Was die Königin dem Mädchen da anvertraut,
ist ein Bestandteil der menschlichen Natur und gehört zu
unserer Kreativität. Mit jedem wissenschaftlichen Fortschritt
lernen wir, die schöpferischen Kräfte, die den Kosmos
in Bewegung halten und den Menschen geschaffen haben, in ihrer
Art, ihrer Bedeutung und ihrem wunderbaren Wirken besser zu
verstehen und zu schätzen. Solche Offenheit und solches
Vertrauen führen zum Glauben an die Realität der Möglichkeit
und schließlich zu folgender Wahrheit: "Das Geheimnis
des Universums ist seine Begreifbarkeit."
Mit dieser provozierenden Behauptung hätte
Einstein unsere Beziehung zum Universum meinen können.
Die alte Einteilung der Erde und des Kosmos in objektive Vorgänge
in Zeit und Raum und den Verstand, in dem sie widergespiegelt
werden, ist kein geeigneter Ausgangspunkt mehr, wenn wir das
Universum, die Naturwissenschaft oder uns selbst verstehen wollen.
Die Naturwissenschaft fängt langsam an, ihr Augenmerk auf
die Konvergenz von Mensch und Natur zu richten, auf das System,
das uns als Lebewesen zu abhängigen Bestandteilen der Natur,
zugleich aber die Natur zum Gegenstand unseres Denkens und Handelns
macht. Naturwissenschaftler können dem Universum nicht
mehr als objektive Beobachter gegenübertreten. Die Naturwissenschaft
geht heute davon aus, dass der Mensch am Universum teilhat.
Unter quantitativen Aspekten ist es für das Universum relativ
gleichgültig, was im Menschen vor sich geht. Unter qualitativen
Gesichtspunkten geschieht jedoch im Menschen nichts, was sich
nicht auf die konstituierenden Elemente des Universums auswirken
würde. Das verleiht der einzelnen Person eine kosmische
Bedeutung.
Indes gilt nicht für alle Tatsachen der
Grundsatz der Freiheit und Gleichheit: Es gibt eine Hierarchie
von Tatsachen in Zusammenhang mit einer Hierarchie von Werten.
Um die Tatsachen richtig ordnen, die wichtigen von den unbedeutenden
unterscheiden und ihre Tragweite in bezug auf die übrigen
und auf Bewertungskriterien ermessen zu können, bedarf
es eines ebenso intuitiv wie empirisch vorgehenden Urteilsvermögens.
Der Mensch braucht nicht bloß Informationen, er braucht
auch Sinn. Exaktheit ist nicht dasselbe wie Wahrheit.
Unsere Hoffnung besteht darin, daß wir
die kulturelle Hybris überwinden, in der wir bisher gelebt
haben. Die naturwissenschaftliche Methode, die Technik des Analysierens,
Erklärens und Klassifizierens, ist offensichtlich an ihre
natürlichen Grenzen gestoßen. Sie erheben sich dort,
wo die Naturwissenschaft vermutet, durch ihren Eingriff den
Gegenstand ihrer Untersuchung zu modifizieren und zu formen.
In Wirklichkeit können Methode und Objekt nicht mehr voneinander
getrennt werden. Die überholte kartesianische naturwissenschaftliche
Weltsicht ist im strengsten Sinne des Wortes nicht mehr wissenschaftlich,
denn ein gemeinsames Band vereint uns alle -Mensch, Tier, Pflanze
und Galaxis - im Einheitsprinzip aller Realität, Denn das
Selbst ohne das Universum ist leer.
Das Universum, von dem wir Menschen kleine Partikel
sind, kann man vielleicht als einen lebendigen, dynamischen
Entfaltungsprozeß beschreiben. Es ist ein atmendes Universum,
wobei sein Atem nur einer seiner vielen Lebensrhythmen ist.
Es ist die Evolution selbst. Obwohl das, was wir beobachten,
als eine Gemeinschaft von separaten, unabhängigen Einheiten
erscheinen mag, bestehen diese Einheiten in Wirklichkeit aus
Untereinheiten, jede mit ihrem eigenen Leben, und die Untereinheiten
stellen kleinere, lebende Gebilde dar. Auf keiner Stufe in der
Hierarchie der Natur gibt es wirklich Unabhängigkeit. Denn
das, was lebt und die Materie ausmacht, organische wie anorganische,
hängt von einzelnen Gebilden ab, die zusammengenommen Aggregate
neuer Einheiten bilden, die ihrerseits unterstützend aufeinander
einwirken und zu einem sich entwickelnden Phänomen werden;
sie sind ständig in Bewegung, und ihre Struktur wird immer
komplizierter und verwickelter.
Hat die Evolution bestimmte Ziele? Oder gibt
es nur erkennbare Muster? Gewiß gibt es ein Gesetz der
Evolution, mit dem wir das Auftauchen von Arten erklären
können, die zu wirklich neuartigen Aktivitäten fähig
sind. Vielleicht lassen sich auch einzelne Beispiele für
den Ursprung des Lebens, das Auftauchen des individuellen Bewußtseins
und das Auftreten der Sprache anführen.
Die Autoren der Serie "Convergence"
hoffen zeigen zu können, daß Evolution und Entwicklung
austauschbar sind und daß das gesamte System der Verflechtung
von Mensch, Natur und Universum eine lebendige Ganzheit bildet.
Der Mensch sucht seinen rechtmäßigen Platz in dieser
Einheit, diesem kosmischen Entwurf der Dinge. Der Sinn dieses
kosmischen Plans - wenn wir dem Geheimnis und der Erhabenheit
der Natur überhaupt einen Sinn zuweisen können - und
das Maß der Verantwortung, die wir als einzige intelligenzbegabte
Wesen in ihm übernehmen können, sind entscheidende
Fragen, auf die diese Serie eine Antwort sucht....
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