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(Zum
Thema "Chaos" unbedingt die Seiten der Akademie 3000
besuchen und, bitte, auch den Aufsatz
von Heinz Koch lesen)
Eine kurze Chaostheorie
von Claudia Schulte zur Hausen
Die Welt ist ein Uhrwerk
Die Welt ist ein Saustall
Rückkopplung
Die Welt ist hübsch
Alles ist eitel
Kann
ein Schmetterling, der im August fröhlich
über den Hamburger Fischmarkt flattert,
den Münchnern das Oktoberfest verhageln?
Die Antwort lautet: Er könnte
- aber es muß nicht dazu kommen.
Der Flügelschlag eines Schmetterlings in
Hamburg gehört zu den vielen Ausgangsbedingungen, die für
die Entwicklung des Wetters verantwortlich sein können.
Und das Wetter gehört zu den komplexen dynamischen Systemen,
die hochempfindlich auf winzig kleine Änderungen der Anfangsbedingungen
oder Störungen reagieren. Mit solch vielschichtigen Systemen
und der Nichtvorhersagbarkeit ihrer Reaktionen beschäftigt
sich die Chaos-Forschung.
Die Welt ist ein Uhrwerk
Jahrzehntelang ging die Wissenschaft davon aus,
daß alle Phänomene in der Natur prognostizierbar
sind, wenn nur die Ausgangsbedingungen zu genüge bekannt
sind. Der Mathematiker und Naturforscher Laplace sprach gar
von der Existenz einer Weltformel: Eine Intelligenz, die alle
in der Natur wirkenden Kräfte und die genaue Lage aller
Atome kennt und zudem in der Lage ist, diese Größen
der mathematischen Analysis zu unterwerfen, kennt Zukunft, Vergangenheit
und die Bewegung der größten Weltkörper bis
zum kleinsten Atom.
Diese Annahme veranlaßte Wissenschaftler,
davon auszugehen, daß mit immer genaueren Methoden und
Geräten das Schicksal der Welt, jede Entwicklung in der
Natur prinzipiell vorhersagbar sei. Der Determinismus bestimmte
das naturwissenschaftliche Weltbild.
Die Welt ist ein Saustall
Es war im Jahre 1956, als der Metereologe Edward
Lorenz versuchte, auf dem Computer das Wetter zu simulieren.
Brav errechnete die Maschine eine Kurve für den Wetterverlauf.
Da damals niemand sicher war, ob der Computer richtig funktioniert,
gab Lorenz die Funktion nochmal ein. Die Kurve zeigte einen
völlig anderen Verlauf. Computer kaputt? Er funktionierte
einwandfrei. Lorenz stellte fest, daß er bei der zweiten
Eingabe den Wert für den entscheidenden Parameter um etwa
ein zehntel Promille abgerundet hatte.
Scheinbar führten Berechnungen komplexer
mathematischer Funktionen trotz ähnlicher Bedingungen zu
völlig unterschiedlichen, nichtvorhersagbaren Ergebnissen.
Bis zu einem bestimmten Punkt verhielten sich die Funktionen
noch streng nach den angenommenen deterministischen Regeln.
Dann jedoch zeigten sie ein nicht prognostizierbares, scheinbar
völlig chaotisches Verhalten. Die Gesetzmäßigkeiten
hatten ihre Gültigkeit zwar nicht verloren, erwiesen sich
aber ab einem bestimmten Punkt als nicht verläßlich.
Die annähernde Kenntnis der Ausgangsbedingungen
eines Systems und der für dieses System gültigen Gesetze
reichte nicht mehr aus, um das zukünftige Verhalten des
Systems vorherzusagen. Auch die Annahme, ähnliche Bedingungen
und Ursachen riefen ein ähnliches Verhalten bei Systemen
hervor, erwies sich als nur begrenzt gültig. Der weltanschauliche
Determinismus war damit in Frage gestellt. Die Botschaft der
Chaostheorie lautet: Alle Phänomene der Natur, von der
Mathematik bis hin zu Gesellschaft, sind, obwohl sie den bisher
bekannten Naturgesetzen unterstehen, prinzipiell nicht vorhersagbar.
Die Chaos-Forschung arbeitet auf Grundlagen
hochkomplexer mathematischer Gleichungen. Betrachtet wird das
Verhalten rückgekoppelter Systeme mit nichtlinearer Dynamik.
Wesentlich für den Prozeß der Rückkopplung ist,
daß eine Größe X, die sich bezüglich einer
vorgegebene Variablen verändert, in ihrem veränderten
Wert wieder für das Anfangs-X eingesetzt wird. Es findet
also eine Art Schleife statt.
Ist die Veränderung, die mit X passiert,
von einer nichtlinearen Funktion abhängig, entwickelt das
System eine nichtlineare Dynamik, die geordnet oder chaotisch
verlaufen kann. Läßt man Funktionen dieser Art, zum
Beispiel Bewegungen eines nichtlinearen Pendels über drei
Magneten, vom Computer zeichnen, so entstehen ausdrucksstarke
Muster:
Anhand dieser graphischen Darstellungen ist
gut zu erkennen, daß es in dem System drei Bereiche gibt:
Fixpunkte, Chaos und Übergangsbereiche. Diese Zustände
prägen das charakteristische Verhalten, egal ob das System
physikalischer, biologischer, medizinischer oder psycholgischer
Natur ist.
Zunächst das stabile Stadium: Das System
reagiert berechenbar. Es befindet sich in der Nähe eines
Fixpunktes und gleiche Ursachen rufen gleiche Wirkungen hervor.
Als Chaos wird der unberechenbare Zustand beschrieben,
in dem Systeme auf Störungen höchst empfindlich reagieren.
Trotz ähnlicher Ursachen sind die Wirkungen höchst
unterschiedlich. Im Chaos herrscht eine absolute Nichtvorhersagbarkeit.
Bestehen noch alte Ordnungen aber das Chaos
bricht schon herein, befindet sich das System im Übergangsstadium.
Mathematisch ist dieser Zustand schwer faßbar. Doch gerade
diese Grenzbereiche sind von besonderem Interesse, weil sich
nur hier erkennen läßt, wann und unter welchen Bedingungen
ein System von der Stabilität ins Chaos kippt.
Die Welt ist hübsch
Um diese Zustände betrachten zu können,
nähert man sich den komplizierten Phänomenen mit fraktaler
Geometrie und Iterationen an. Fraktale sind Gebilde, die keine
ganzzahligen sondern gebrochene Dimensionen aufweisen. Bei der
Betrachtung zeigt sich, daß im scheinbaren Chaos ganz
subtile Regeln herrschen. Übersetzt man diese Regeln in
Geometrie zeigen sich klare Strukturen von großer Schönheit,
die in sich selbstähnlich (fraktal) sind.
Was also bedeutet Chaos?
Maskierte Ordnung?
Chaos beinhaltet Umbruch und Instabilität, Krisen und die
Auflösung alter Ordnungen.
Alles ist eitel
Diese Merkmale finden wir überall: Ob in
der Ökonomie, dem Verhältnis der Geschlechter, der
modernen Kommunikation - ständig lösen sich alte Ordnungen
auf und neue beginnen sich zu formieren. In unserer Welt geschieht
also das, was Wissenschaftler beim Übergang von Ordnung
in Chaos und umgekehrt in ihren mathematischen und physikalischen
Systemen betrachten und mit Chaostheorie bezeichnen.
Sie beschreiben damit eine Struktur, die zwar
in der Mathematik zu Hause ist, aber in ganz verschiedenen Wirklichkeitsbereichen
die Erscheinungen der heutigen Zeit bestimmt. Darin liegt wohl
die Faszination, die Chaostheorie auch auf naturwissenschaftliche
Laien ausübt.
Trotzdem: die Chaostheorie wird nur schwer praktische
Handhabungstips für chaotische Systeme jeglicher Art liefern,
sondern höchstens Denkanstöße geben können.
Eine ihrer Hauptaussagen ist ja, daß das Verhalten komplexer
Systeme niemals voraussagbar ist, da sie viel zu empfindlich
auf kleinste Änderungen reagieren. Deshalb könnte
theoretisch auch ein Schmetterling in Hamburg den Münchnern
mit einem Flügelschlag das Oktoberfest verhageln. Aber
wenn das jeder machen würde?
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