Christina Mayer (Südwest Presse) zur Vorpremiere des "Faust" im "Ulmer Zelt": "Das Theater Neu-Ulm hat Goethes 'Faust' für die kommende Freilichtsaison im Wiblinger Brauhof mit Mut und Frische angepackt. Die Zutaten für diesen 'Faust': ein zartes Gretchen, ein witziger Mephisto, eine kokette Frau Marthe und ein nachdenklicher Faust. Alles auf das Anschaulichste verkleidet, klassisch angerichtet und mit einem Schuss Esprit gewürzt. Auch der Überraschungseffekt fehlt nicht. Er kommt am Schluss der Inszenierung. Das Theater Neu-Ulm, bestehend aus Claudia Riese und Heinz Koch, hat sich für die Aufführung gleich vervierfacht. Zu den Schauspielerimporten kommen noch Tänzerinnen des 'dansarts ballett centrum', Beleuchtung und Bühnenbildner. Verdoppelt haben sich die Premieren. Premiere Nummer 1 fand im Ulmer Zelt statt. Auf der Zeltbühne musste sich das Bühnenbild einschränken. Am Freitag, 21 Uhr, im Brauhof des Klosters Ulm-Wiblingen soll sich der Faust zu voller Opulenz ausbreiten können. Dann steht Faust im Freien. Kostüme, Bühnenbild und Licht sind auf die Freiluftaufführung abgestimmt. Der Teufel in Rot (natürlich) setzte schon im Ulmer Zelt einen höllischen Glanzpunkt. Gretchen war ganz Mädchen. Faust der Denker. Man darf gespannt sein, wie sich der Tragödie erster Teil in der Premiere zweitem Teil zurechtmacht. |
Faust im HexenkesselRoland Mayer schreibt in der NEU-ULMER ZEITUNG unter anderem:"Das sprechtheatralische Duell zwischen Faust (Heinz Koch) und Mephisto (Clemens Grote), das zum Blutspakt führt, illustriert die Regisseurin Claudia Riese (die noch diverse Rollen mimt) in Fausts schummriger Studierstube mit belebenden Multimedia-Figurationen. Keck Christian Hageleit in der stehenden Kurzpartie des mephisto-umgarnten Studiosus in spe. Dann köcheln die Hexenkessel auf Hochtouren. Mephisto hat seine Sudweiber voll im Griff, die für Faust den höllischen Trank fürs Symbol der schönen Helena zubereiten, das für Faust in Gretchens Jungfernstube (mit Schlichtheit beeindruckendes Bühnenbild: Oliver Braig) zur Wirklichkeit wird. Kochs Faust ist ein sinnierend zweifelnder, sehnsuchtsvoller und zugleich sprachgewaltiger. Im Protagonisten-Duo ist der anfangs sprechnervöse Grote mit Kratzfuß und tet-à-tete durchaus der windige Pferdefuß, der alle Walpurgisnächte diktiert. Catherine Krummenachers 'dansarts'-Hexenballett korrespondiert zur Dramaturgie mit gutgemachter, spritziger Action (im Tanz-Team: Barbara Gaudiosi, Christian Hageleit). Tobias Wahrens Musik aus den Boxen gibt sich im beat-off mehr martialisch als klangmalerisch, ist programmatisch ausgeklügelt, aber viel zu laut ausgesteuert. 'Faust' vom 'Theater Neu-Ulm': ein Sommertheater, das sonst nichts versäumt, wo die Frauen (mit Angela Böhmer als Marthe und Ruth Kerners Margarete, die sich vom süßen Fratz zur tragischen Figur entwickelt) sensitive Momente ausspielen." |
KLOSTERHOF/Das Theater Neu-Ulm in Wiblingen Ein Faust zum KnuddelnGoethes großes Drama für laue Sommernächte präpariertFaust, das ist deutsch und schwer. Etwas für dunkle Kellergewölbe und mächtige Theatertempel. Faust in lauen Sommernächten? Das Theater Neu-Ulm präsentiert nun im Wiblinger Klosterhof so etwas wie ,,Faust light''. Was fehlt: Der Besuch in Auerbachs Keller ersatzlos gestrichen, Fausts Famulus Wagner musste ebenso dran glauben wie Gretchens Bruder, aber der wäre ja ohnehin gleich gestorben. Und noch so einiges wird ausgelassen. übrig blieb ein Faust, der sich auf die Tragödie des Gretchens konzentriert, kurz genug, dass man nicht allzusehr friert, nachts und draußen. Doch nicht nur an Umfang wurde das Stück leichter. Klar: Faust, gespielt von Heinz Koch, will sich nach wie vor zu Anfang umbringen. Doch selbst wenn man nicht wüsste, dass er's dann doch nicht tut, würde man wohl nicht allzusehr um ihn bangen. Dieser Faust hadert zwar mit dem Leben, aber das letzte bisschen Verzweiflung, das fehlt ihm. Und wenn er um das Gretchen wirbt, dann ist er vor allem ein reiferer Mann, mit dem die Gefühle durchgehen und der sich deshalb etwas drollig anstellt - ein Faust zum Knuddeln. Passend dazu spielt Ruth Kerner die Margarete anfangs naiv, aber auch ein bisschen neckisch. Mephisto ist ohnehin ein Zyniker, der mit leichtem Spott seine Überlegenheit demonstriert. Clemens Grote gab ihm den halbseidenen Charme eines Bordellbesitzers. So wurde das schwere deutsche Drama leicht, eher ein U-Faust als ein E-Faust. Deutschlehrer könnten ohne weiteres ihre Klassen mitbringen, ohne sich groß Sorgen um die Einschlafquote machen zu müssen. Das einzig Schwere schienen zeitweise die zusammengeschweißten Metallobjekte des Bühnenbildes. Fast könnte es eine große Party werden - die Walpurgisnachtszene eine bizarre, pantomimische Orgie zu lauter Musik mit Pornogestöhne, und Faust lässt sich unter Mephistos Anleitung mit Hexen ein. Doch Ruth Kerner gibt der Geschichte die Tragik zurück: Sie spielt die leidende, verzweifelte Margarete, das verständnislose Opfer der Wette zwischen Faust und Mephisto, und sie spielt sie so entrückt und ätherisch, als würde sie sich im nächsten Moment auflösen. Und das tut auch Faust leid. JOCHEN NEUMEYER in der Südwest Presse am 14. Juli 1997 |
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