Tanz den Walzer des
Lebens, tanz
AuGuS-Theater mit hervorragender "Lola
Blau"
Heide von Preussen
Es klingt so locker "Lola Blau" - ein
Musical für eine Schauspielerin. Und es ist gar nicht schlecht
gewählt für ein kleines Theater, wie es da Neu-Ulmer
AuGuS-Theater nun mal ist. Aber es bedeutet in der Umsetzung eine
große Tat, und eigentlich noch viel mehr. Ein schmaler Wandel
zwischen Tralala und tiefer Betroffenheit ist da angesagt, muß
vom Publikum bemerkt und ausgehalten werden. Denn zwischen den
Songs hört man Goebbels Stimme kreischen: Wollt Ihr den totalen
Krieg? Und das Schreien und das Klatschen und das Stiefelgetrampel
der Nazis (über Band eingespielt) dringt wie ein Messerstich
ins Herz.
"Lola Blau" von Georg Kreisler einst
für dessen Frau Topsy Küppers konzipiert, wer kennt
die beiden heute noch? Natürlich, sagt man: Geh'n wir Tauben
vergiften im Park...dann klackt es ein wenig. Aber Kreisler wie
Küppers gehören in den fünfziger und sechziger
Jahren (auch im Fernsehen) vom Kabarettistischen her zu den großen,
ironischen Mahnern, in eine Zeit hinein, die immer schnellebiger
und oberflächlicher wurde. Kreisler, mit tieftraurigem Ausdruck,
typische Wiener Todessehnsucht im Blick hinter der dicken Brille
am Klavier singend, Prosa vortragend, Lyrik beisteuernd, ebenso
wie seine bildschöne Frau - einst Anziehungspunkt für
jedermann.
Blauäugige Blau
Nun ist Lola also in Neu-Ulm. Claudia Riese
schlüpft ins Korsett der kleinen unbedeutenden jüdischen
Schauspielerin, einer gänzlich unpolitischen Person,
die weder was vom damaligen deutschen Zeitgeist versteht,
noch überhaupt kapiert, daß sie schon längst
über die Grenze sein müsste im Nazideutschland 1938,
so wie ihr Onkel Paul mit Familie oder ihr geliebter Leo,
den sie in Basel treffen soll, in Basel am 15. April im Hauptbahnhof.
Leo kommt nicht, Lola tingelt in der Schweiz, bis sie auch
dort als "unerwünscht" rausgeschmissen wird.
Sie landet per Zufall in Amerika (herrlich Rieses Schrei:
"Amerika, ich komme!"), aber immer noch nicht begreifend,
daß die Verhältnisse nicht so sind, wie sie sein
müssten (laut Menschenrechte der Genfer Konvention).
Das alles wird erzählt in einer Art Moritat
von Heinz Koch, sehr einfühlsam und teilweise auch überzeugend
gespielt als Jude, als strammer Deutscher und als Pförtner.
Im Mittelpunkt aber Lola. Claudia Riese wieder einmal in Hochform,
obwohl sie im Singen eigentlich mehr in der Schiene des Sprechgesangs
brilliert. Aber wandelbar, überzeugend, temperamentvoll und
mit besten Momenten, wenn sie so richtig aus sich rausgehen darf
als Judenjungmann in der Einlage-Nummer "Sie ist ein herrliches
Weib", als Marlene Dietrich, als Marilyn-Monroe- Verschnitt
oder als fesche Lola im Kabarett.
Sie ist streckenweise einfach umwerfend, diese
Claudia Riese als Lola Blau und schließlich kommt der Lohn
sogar ein bißchen lebenswert daher: Im bescheidenen Kabarett
in einem bescheidenen Lokal eines bescheidenen Wiener Bezirks
nach 1945 findet diese Lola endlich zu dem, was sie so lange weggeschoben
hat: Sie denkt politisch, verquickt's ironisch kabarettistisch,
und wenn der kleine Herr Schmidt sie mit der Rose um Verzeihung
bitten will, nimmt sie's nach der Vorstellung unten im Foyer auch
an. Aber: Leo ist dabei (er hat das KZ überlebt).
Neu-Ulmer Zeitung am Montag 19. Oktober
1998